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Der Mehrwert in der Jungen Welt; 01.01.24

Am 15. November letzten Jahres erschien in der sozialistischen Zeitschrift ein Artikel mit dem Titel „Rotlicht: Wertgesetz“ von Barbara Eder. Offenbar verfolgt der Artikel das Ziel, die Marx’sche Arbeitswerttheorie wieder populärer zu machen und beleuchtet sie in ihren Ursprüngen und ihrer Wandlung. So weit, so gut. An der Absicht ist erst einmal nichts falsches und ihre historische Entstehung halte ich auch eher für zweitrangig: wichtig ist viel mehr die logische Korrektheit.

Man braucht gar nicht lang suchen: der erste Aufhänger steht bereits direkt im ersten Satz. „Der Wert einer Ware und ihr Preis sind unter kapitalistischen Bedingungen nie äquivalent […].“ Wenn damit nur gemeint ist, dass Preis und Wert zwei verschiedene Kategorien sind, so ist der Satz noch wahr. Schließlich wären sonst die zwei verschiedenen Begriffe ohne jeden Sinn für unsere Kritik. Jede andere, weitergehende Interpretation führt diesen Satz allerdings ins Falsche. Jede andere Interpretation widerspricht tatsächlich der marxistischen Theorie. Denn was ist der Preis einer Ware nach Karl Marx? Er ist „an sich nichts als der Geldausdruck des Werts.“ (Lohn, Preis und Profit) Preis ist also Wert in Geld ausgedrückt. Was ist nun dieses Geld? „Die besondere Ware, die so das adäquate [zu Deutsch = entsprechende (!)] Dasein des Tauschwerts aller Waren darstellt, oder der Tauschwert der Waren als eine besondere, ausschließliche Ware, ist - Geld.“ (Zur Kritik der politischen Ökonomie) Damit könnte man diese Sache bereits abhaken und sagen „gut ist“. Doch halte ich damit die Sache noch nicht für restlos aus der Welt geschafft.

Vielleicht hat die Junge Welt Recht, wenn sie die besondere Wirkung von Monopolen aufzeigen wollte, welche Marx zumindest in der von mir zitierten Schrift wissentlich übergangen hat, doch ist das nicht das Argument, was hier vorliegt. Und selbst dann wäre ein Beweis erforderlich, keine dumpfe Behauptung, wie es hier getan wird. Es wird überhaupt keine Äußerungen zu Monopolen oder ihrer Wirkung getätigt, sondern nur über den Kapitalismus als Ganzes. Diese Interpretation fällt also raus.

In einer weiteren Interpretation könnte auch die Schwankung der Marktpreise, ausgelöst durch Angebot und Nachfrage, gemeint sein, womit sie immer wieder vom festgelegten Wert der Ware abweichen. Das stimmt so weit. Es sind allerdings nur genau das: Schwankungen. Angebot und Nachfrage konkurrieren ständig miteinander und sorgen somit zum Ausgleich; sorgen dafür, dass der Preis trotz seiner Abweichungen immer wieder zum Wert gravitiert und diesen als Mittelpunkt anpeilt. Es ist simple Mathematik. Wenn wir bei einem Wert 1 starten und ein Vektor 5 Einheiten nach oben führt, ein anderer Vektor unseren Punkt allerdings 5 Einheiten in die entgegengesetzte Richtung zieht, bleibt die Bewegung bei 0. Das heißt, bei einem gleichbleibenden Wert einer Ware, gleichen sich die Schwankungen des Preises notwendigerweise immer wieder aus, da sie mal über dem Wert und mal darunter liegen. Den gesamten Prozess des kapitalistischen Zyklus betrachtet, und nicht nur den einzelnen Moment einer Preisschwankung, tendiert der Preis also dazu, wie auch oben genannt, nur der Geldausdruck des Werts zu sein. Nur bei einer Änderung des Werts – also der aufgewandten Arbeitszeit, die in einer Ware verkörpert ist – folgt dieser Veränderung auch der Preis und er hat einen neuen Gravitationspunkt für das Spiel zwischen Angebot und Nachfrage gefunden. So geht das Spiel von vorne los. Hier kann man von einer wirklichen Preisänderung sprechen, nicht bloß von einer Schwankung. Doch wird diese Änderung im Preis erst hervorgerufen in der Änderung im Wert. Es ist also das Wertgesetz, was über die Bewegung von Preisen bestimmt; der Preis ist vom Wert abhängig und nimmt sich diesen immer wieder als Mittelpunkt seiner Schwankungen.

Es bleibt nur noch eine Interpretation dieses kurzen, doch sehr gehaltvollen Satzes (deswegen möge man es mir verzeihen, dass ich ihn so ausschlachte!): Es gibt einen richtigen Wert einer Ware und einen falschen, unberechtigterweise aufgeschlagenen Aufpreis der Kapitalisten, woraus sich dann der Preis bilde und sie ihren Profit herausziehen. Auch hier lässt sich wieder bei Marx nachlesen, dass „durchschnittliche Profite gemacht werden durch Verkauf der Waren nicht über, sondern zu ihren wirklichen Werten.“ (Lohn, Preis und Profit) Der Mehrwert, woraus auch der Profit der Kapitalisten stammt, entsteht nicht durch einen Aufschlag während der Zirkulation einer Ware, sondern bereits während der Produktion der Ware dadurch, dass sich der Arbeitstag eines beliebigen Arbeiters in bezahlte und unbezahlte Arbeitszeit teilt. Der Kapitalist verkauft in all seinem Pragmatismus natürlich das ganze Produkt des Arbeitstages, auch wenn es zum Teil aus unbezahlter Arbeit besteht. Daher der Mehrwert, nicht anders.

Nun habe ich mich aber lang genug mit diesem Satz aufgehalten und wir kommen zu etwas anderem.

Die Junge Welt schreibt weiter: „Mit wachsender Produktivität – nichts anderes steht im Zentrum der kapitalistischen Ökonomie – erhöht sich die pro Zeiteinheit produzierte Wertmenge kontinuierlich: Das, was in einer Stunde hergestellt werden kann, wird zur konkreten Realisation der mit einer abstrakten Zeiteinheit verbundenen Wertgröße.“ Nehmen wir einmal an, dass diese These wahr sei, und übersetzen sie in ein konkretes Beispiel: Eine Firma schafft beispielsweise neue Maschinerie an, die die Arbeitszeit beträchtlich kürzt, um die gleiche Anzahl an Produkten zu erzeugen wie zuvor. Sagen wir, in einer Stunde kann nun doppelt so viel produziert werden wie zuvor. Nach Auffassung der Jungen Welt würde diese Verdopplung der Produktivität auch zu einer Verdopplung der produzierten Werte führen. Natürlich hat die Junge Welt auch gleich das passende Zitat aus dem „Kapital“ parat, um diese Behauptung zu belegen. Marx stimme ihnen zu, indem er sagt: „Je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm kristallisierte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Wert. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto größer die zur Herstellung eines Artikels notwendige Arbeitszeit, desto größer sein Wert.“ (Hervorhebungen von mir) Es ist schon ein bisschen komisch, ja auch ein bisschen lustig; denn dieses Zitat beweist das genaue Gegenteil von dem, was die Junge Welt eigentlich zu beweisen versucht. Die Junge Welt widerlegt sich selbst. Dementsprechend muss ich mir da keine sonderlich große Arbeit mehr machen.

Die Realität ist genau umgekehrt zu ihrer Darstellung. Wenn zum Beispiel eine neue Maschine auf den Weltmarkt tritt, die ermöglicht, eine Ware doppelt so effizient zu produzieren, so erschafft dies keinen weiteren Wert. Die einzelne Ware für sich betrachtet halbiert die Verdopplung der Produktivkraft sogar ihren Wert, da sie auch die für ihre Erzeugung notwendige Arbeitszeit halbiert. Nur weil die beispielhafte Fabrik jetzt doppelt so viel produziert wie zuvor, schafft sie es noch, insgesamt den gleichen Wert und nicht weniger zu produzieren. Keinesfalls kommt aber bei dieser Rechnung ein Plus heraus.

Als allgemeines Gesetz der Arbeitswerttheorie gilt: „Die Werte der Waren sind direkt proportional den auf ihre Produktion angewandten Arbeitszeiten und umgekehrt proportional der Produktivkraft der angewandten Arbeit.“ (Lohn, Preis und Profit) Dies scheint die Junge Welt vergessen zu haben.

Die Frage der Einheit; 15.12.23

Politische Spaltungen scheinen in der deutschen Linken zur Tagesordnung zu gehören. Manche setzen dieser Tendenz dem Ruf nach Einheit entgegen, doch egal wie oft sie ihn zu wiederholen scheinen, bringt er keine geeinte Linke hervor. Denn dieser Ruf vergisst, dass Spaltungen das Resultat politischer Widersprüche sind. Solange diese Widersprüche nicht gelöst sind, kann auch keine echte Einheit bestehen. Ohne eine einheitliche Linie ist jede Einheit nur das Ergebnis liberaler Prinzipienlosigkeit und es verliert jeden revolutionären Anspruch, den es einst vielleicht hatte.

Ein weiterer Fehler liegt darin, immer von der gesamten deutschen Linken zu sprechen. Wer ist denn diese deutsche Linke überhaupt? Da gibt es Marxisten, Anarchisten, Stalinisten, Trotzkisten, Wertkritiker, Klassenkämpfer und vieles mehr. Die Absurdität der Forderung nach Einheit zwischen diesen Strömungen ergibt sich von selbst. Eine Einheit in der politischen Organisation wird durch die Widersprüche der politischen Theorie und Praxis unmöglich gemacht.

Der Forderung nach Einheit folgt aber meist noch etwas: man solle sich „gegen Etwas“ vereinen. Gegen den Feind; gegen den Faschismus, gegen den Staat, gegen die Nation, gegen das Kapital usw. Diese Feindbilder sind alle schön und gut. Doch ihrem eher abstrakten Charakter geschuldet, ergibt sich aus einem gemeinsamen Feind – zumindest in Worten – noch lange keine gemeinsame Praxis. Denn wo der eine in dem Faschismus die organisierte Macht des reaktionären Finanzkapitals sieht, erblickt der andere die Herrschaft des frustrierten Kleinbürgertums. Unterschiedliche Analysen mit unterschiedlichen Ergebnissen zum selben Ding sind die Ursache der Unvereinbarkeit. So kommt es, dass Gruppen, die sich dieselben gesellschaftlichen Verhältnisse zum Feind erkoren haben, doch nicht zusammenarbeiten können, da sie beim selben Wortlaut von zwei verschiedenen Dingen reden. Liberale Phrasendrescher der Einheit wollen diese Unterschiede nicht erkennen und pochen darauf, dass wir alle dasselbe Ziel hätten und nur an einem Strang ziehen müssten, um es zu erreichen.

Diese Ansicht, unsere Unterschiede einfach unter den Teppich zu kehren und sie erst wieder hervorzuholen, sobald wir „den Feind“ besiegt haben, ist eine falsche Ansicht. Tatsächlich werden wir ohne den aktiven ideologischen Kampf, ohne Kritik und Selbstkritik unserer Theorie und Praxis, nie „den Feind“ besiegen, welche Form auch immer dieser annimmt.

Wir sehen, diese Annahme geht schon nicht auf, wenn Strömungen namentlich behaupten, denselben Feind zu haben. Noch falscher wird sie, wenn man sie auf Strömungen in der Linken überträgt, die vollkommen gegensätzliche Ansichten vertreten. Wenn jemand sich in Worten und Taten wie ein Bürgerlicher, nicht wie ein Kommunist, verhält, müssen wir ihn auch so behandeln und nicht wegen des lieben Zusammenhalts diese falschen Ideen mittragen.

Diese Entgegnungen bedeuten nicht, dass ich ein Gegner der politischen Einheit bin. „Jugend voran zur Einheit!“ und ähnliche Sprüche sind gute Botschaften, unter denen sich Kommunisten organisieren können. Es ist allerdings eine falsche, liberale Ansicht, dass Einheit durch das Entledigen eines gefestigten Standpunkts geformt werde. Verfolgt man diese Ansicht in der Praxis, verstrickt man sich notwendigerweise in ein Netz aus Kompromissen, das früher oder später zu einer Stolperfalle heranwächst. Es ist richtig, dass ideologische Widersprüche beseitigt werden müssen, um eine einheitliche Theorie und Praxis zu schaffen. Diese Widersprüche werden aber nicht beseitigt, indem man sie unter den Teppich kehrt! Dort werden sie nur langsam vor sich hinbrüten, sich wie Staub mit der Zeit mehr und mehr akkumulieren, bis sie schließlich überquellen und in einer organisatorischen Katastrophe hervorbrechen. Dieses Schauspiel kann man sich tatsächlich alle Jahre wieder bei verschiedensten Organisationen anschauen. Es heißt also: Nein, die Beseitigung widersprüchlicher Ansichten in einer Organisation kann nur durch die Methode der Kritik und Selbstkritik erfolgen, durch einen aktiven ideologischen Kampf, bei welchem man sich ernsthaft mit jeder Ansicht beschäftigt und man eine gemeinsame Linie beschließt.

Man muss sich damit arrangieren, dass immer unterschiedliche, sich widersprechende Theorien hervorsprießen werden. Im Zweilinienkampf ist es unsere Aufgabe durch Kritik, Analyse und Diskussion die richtige Linie zu erwägen. Wenn man den ideologischen Kampf unterdrückt, eine Klärung der Frage nicht zulässt, frisst dieses Verhalten an der Organisationsstruktur der Gruppe und, wird dies nicht berichtigt, zerteilt es die Gruppe in chaotische Haufen.

In jeder Organisation muss eine lebendige, revolutionär disziplinierte Debattenkultur geschaffen werden, die sich zum Ziel setzt, jedes Verhältnis, jede Theorie, jede Idee nach ihrem revolutionären Wert zu untersuchen. Genossen müssen ihre Ideen offen vorstellen können, und jedem Vorschlag muss mit Ernsthaftigkeit begegnet werden. Man darf Ideen nicht übergehen, nicht vorschnell entscheiden; dies führt bloß zur Entfremdung gewisser Genossen. Überzeugung sollte immer an erster Stelle stehen. Erst dann dürfen andere Maßnahmen erwogen werden. Nur durch gemeinsame, zielgeleitete Diskussion und stetige Kritik der eigenen Theorie und Praxis, werden wir es schaffen, fortschrittliche Ideen in unseren Organisationen zu festigen und stets weiterzuentwickeln, um den Weg der Revolution zu bahnen. Ich halte den Aufbau einer Kommunistischen Partei auch nur durch diese Methode für möglich.

Durch Kritik und Selbstkritik voran zur Einheit!